Rituale - Religion in der Praxis

Rituale sind allgegenwärtig. Es gibt alltägliche Rituale wie beispielsweise den allmorgendlichen Tee mit der Zeitung. Wir messen ihm vielleicht keine große Bedeutung bei und können sie auch nicht erklären, aber wehe jemand stört - dann ist gleich der ganze Tag im Eimer. Mit kleinen Ritualen strukturieren wir unseren Alltag, mit großen füllen wir unser Leben mit Sinn. Um diese großen Rituale soll es in diesem Artikel gehen.


In religiösen Ritualen hat unser Handeln eine besondere Qualität, es ist symbolisch und weist über den offensichtlichen Rahmen hinaus. Es bewirkt eine Transformation der Wirklichkeit. Ein Beispiel hierfür ist die christliche Hochzeit. Der Priester erklärt ein Paar zu “Mann und Frau”. Das waren sie natürlich vorher auch schon, aber jetzt hat diese Beziehung eine andere Qualität, es folgt ein neuer Status, andere Rechte und Pflichten.


In der Regel hat ein Ritual einen klaren Rahmen und strenge Regeln, deren Nichtbeachtung weitreichende Folgen oder die Ungültigkeit der Zeremonie nach sich ziehen. Um bei oben genannten Beispiel zu bleiben: es ist wichtig, wer die Eheschließung vollzieht und es kommen dafür nur bestimmte Personen in  Frage. Eine rechtsgültige Ehe ist in Deutschland nur vor einem Standesamten abschließbar. Nach katholischem Glauben kann eine Ehe nur durch einen Priester abgeschlossen werden.

Rahmen: Zeit, Ort und Teilnehmer

Zum Rahmen eines Rituals gehören also bestimmte Personen, eine bestimmte Ausstattung und sie finden an einem bestimmten Ort und zu einer festgelegten Zeit statt. Bezüglich des Ortes haben die meisten institutionalisierten Religionen fest etablierte Räumlichkeiten, z.B. Tempel, Kirchen, etc. Eine Besonderheit des Neuheidentums ist, dass als heiliger Raum quasi jeder Ort in Frage kommt. Da die Verbindung zur Natur einen hohen Stellenwert im Weltbild der Neuheiden einnimmt, werden oft Rituale unter freiem Himmel, beispielsweise auf Lichtungen im Wald, durchgeführt. Prinzipiell kann aber durch den Ablauf des Rituals überall ein heiliger Raum geschaffen werden. Dies geschieht in der Regel durch das Ziehen eines Kreises, in dem die Zeremonie durchgeführt wird.


Während in den traditionellen Religionen meist ein Spezialist für die Durchführung zuständig ist, kann im Neuheidentum jeder Ritualleiter sein. Neben Zeit und Ort spielt der Körper als Instrument eine wichtige Rolle. Zusätzlich zu der eigentlichen Sprache in Ritualen können auch Bewegungsabläufe, Gesten oder Haltungen als Symbole verstanden werden. Ein klassisches Beispiel hierfür ist die segnende Handhaltung. Auch Tänze illustrieren mit ihren festgelegten Abläufen bestimmte Aspekte und Symbole eines Rituals.

Ritualtypen

Rituale bieten den Teilnehmern die Möglichkeit, sich in Einklang mit dem Universum zu fühlen (z.B. kalendarische Riten, Besessenheitsrituale), den Gruppenzusammenhalt zu stärken (z.B. Operrituale, Festmahle) oder symbolische Übergänge (z.B. Initiationen, Hochzeiten) mit dem Körper nachzuvollziehen. Viele Rituale finden in einem religiösen Kontext statt, aber es gibt auch soziale Rituale, z.B. Eröffnungs- und Siegesfeiern sowie politische Rituale wie Amtseinführungen und Krönungszeremonien.

Kalendarische Rituale

Diese Rituale treten periodisch in vorhersagbaren Zyklen auf. Sie begleiten üblicherweise Wechsel der Jahreszeiten, des Wetters, landwirtschaftliche Arbeit oder andere soziale Aktivitäten. Diese Rituale werden meist entweder nach dem solaren Kalender berechnet und fallen somit jedes Jahr ungefähr auf den gleichen Tag, oder sie werden nach dem lunaren Kalender berechnet und variieren von Jahr zu Jahr. Kalendarische Rituale dienen dazu, kulturelle Schemata auf die Natur anzuwenden, um sie so entweder zu beeinflussen oder sie mit den menschlichen Aktivitäten in Einklang zu bringen. Im Neuheidentum sind die bekanntesten kalendarischen Rituale die Jahreskreisfeste. Diese beinhalten die Sonnenwenden und Tag- und Nachtgleiche im Frühling und Herbst, die immer auf das gleiche Datum fallen. Die restlichen Feste werden nach dem lunaren Kalender berechnet und zum zweiten, fünften und achten Vollmond und dem elften Neumond gefeiert. Als Alternative zu den lunaren Festen gibt es auch festgelegte Tage, die den Mittelpunkt zwischen den solaren Festen markieren und sich teilweise an christlichen Feiertagen orientieren - oder anders herum ;-). Ziel der Feste ist, sich in Einklang mit der Natur zu bringen und zum Beispiel auch das menschliche Leben als Abbild der Rhythmen der Natur zu begreifen. 

Gemeinschaftsrituale

In diese Kategorie fallen beispielsweise Opferrituale. Meist wird hier von einer Gemeinschaft von Göttern und Menschen ausgegangen. Im Neuheidentum sind Opfergaben für die Natur durchaus üblich. Diese können als Zeichen des Dankes dienen. Andererseits können diese Opfergaben auch spezifisch auf eine Gemeinschaft mit Naturgeistern oder Göttern bezogen sein.

Feste/Festivals

Der Fokus bei dieser Art von Ritual liegt auf dem gemeinschaftlichen Erleben von Religion oder Kultur in der Öffentlichkeit. Diese Form der Rituale spielt im Neuheidentum eine wichtige Rolle, da Festivals die Möglichkeit bieten, Gleichgesinnte kennenzulernen und Religion überhaupt in Gemeinschaft zu erleben. Außerdem ist es oft wichtig, Präsenz zu zeigen, um gesellschaftlich anerkannt zu werden. Bei den Jahreskreisfesten ist neben spezifischen Ritualen auch ein Festessen üblich. Dieses richtet sich meist nach saisonalen Zutaten. Zu Lughnasadh (bzw. Lammas) am 1. oder 2. August (oder dem achten Vollmond) ist es z.B. üblich, frisches Brot zu backen, da die Kornernte begonnen hat. Zu Imbolc, das im Februar zum zweiten Vollmond gefeiert wird gibt es Milchspeisen und weißes Essen, um die Reinheit der jungfräulichen Göttin zu symbolisieren.


Rituale können sowohl alleine als auch in einer Gruppe durchgeführt werden und können verschiedene Ziele haben. Manche dienen einfach zur Anrufung oder auch Besänftigung einer Gottheit. Opferrituale sind hierfür ein gutes Beispiel. Eine weitere Möglichkeit ist es, im Ritual die Ordnung des Kosmos abzubilden. Beim Hieros Gamos, wird die heilige Hochzeit zwischen Gott und Göttin (symbolisch) durch zwei Ritualteilnehmer dargestellt. Es gibt auch Rituale, die die persönliche Spiritualität ausdrücken, indem sie z.B. die Vereinigung mit dem Göttlichen zum Ziel haben. Daneben gibt es auch nichtreligiöse Rituale zur Erfolgsmagie und Mischkategorien, beispielsweise Heilungsrituale.

Ablauf eines Rituals

Im Gegensatz zu institutionalisierten Religionen gibt es im Neuheidentum keine fest vorgeschriebenen Ritualabläufe und die Anhänger können individuelle Konzepte entwickeln, die ihren eigenen Bedürfnissen am besten entsprechen. Bei der Konstruktion von Ritualen werden neben der eigenen Kreativität verschiedene Quellen als Inspiration genutzt. Anhänger rekonstruktionistischer Gruppen (Link!) nutzen beispielsweise wissenschaftliche Erkenntnisse aus historischen Texten und Erkenntnisse der Archäologie. Allgemein sind auch fiktionale Werke wie die Nebel von Avalon von Marion Zimmer Bradley beliebt. Letztendlich bleibt es aber jedem selbst überlassen, wie er ein Ritual durchführen möchte.


Grundlegend sind die meisten Rituale so aufgebaut, dass ein heiliger Raum geschaffen wird, beispielsweise durch das Ziehen eines Kreises. Es werden die vier Himmelsrichtungen (und/oder die entsprechenden Wesen) angerufen und um ihren Schutz gebeten. Der Hauptteil fällt dann entsprechend dem Ziel des Rituals aus. Abschließend werden die angerufenen Wesen wieder entlassen und der Kreis aufgelöst.


©kb