Religion - Eine Frage der Definition

Es gibt unzählige Wege, Religion zu definieren und jeder betont unterschiedliche Details. Generell kann man Religion aus der Außen- und aus der Innenperspektive beschreiben: ein Christ definiert Religion z.B. über den Glauben an Gott, Jesus Christus und den heiligen Geist, wie er in der Bibel beschrieben wird. In der Wissenschaft versucht man, quasi einen Schritt zurückzutreten und das ganze System von außen zu betrachten. Um Religionen vergleichen zu können, versuchen Wissenschaftler außerdem, eine neutrale Sprache für die Darstellung zu verwenden und Worte, die mit einem moralischen Urteil verbunden sind, wie beispielsweise Sekte, zu vermeiden.

 

Beschreibungen von Religion sind immer verallgemeinernd und relativ. Dementsprechend beginnen viele Bücher und Artikel zu diesem Thema mit Einschränkungen wie “das Christentum, den Islam, den Hinduismus, etc. gibt es nicht”. Als Wissenschaftler beschreibt man immer einen Ausschnitt, z.B. Katholizismus in Bayern aus einer bestimmten Perspektive. Um aber überhaupt über das Thema sprechen zu können, muss man letztendlich dennoch eine Arbeitsdefinition geben.

 

Otto Greiner
Otto Greiner

Für diesen Artikel verwende ich drei Herangehensweisen: über den Glauben, die Gemeinschaft und das Individuum. Eine der grundlegendsten Definitionen von Religion beschreibt sie als den Glauben an höhere Wesen. Damit erfasst man einen Aspekt, der in fast allen Religionen enthalten ist. Die meisten Glaubensrichtungen kennen Götter, Geister, Engel, aufgestiegene Wesen, etc. Auch im Heidentum ist der Glaube an Götter, Naturgeister und vieles mehr stark verbreitet. Diese Definition ist aber zu ungenau. Was sind “höhere” Wesen? Sind sie mächtiger als wir, stärker, intelligenter? Sind damit auch Aliens gemeint? In der Regel wohl eher nicht, aber prinzipiell ist es durchaus möglich, die Existenz von “höheren” Wesen anzuerkennen, ohne sie für Götter o.ä. zu halten. Abgesehen davon reicht die Definition insgesamt nicht aus: Religion ist mehr als Glaube, zur Theorie gehört auch Praxis.

 

 

Kaaba während der Hajj, Bild: Omar Chatriwala
Kaaba während der Hajj, Bild: Omar Chatriwala

Der Soziologe Émile Durkheim beschreibt Religion als ein System von Überzeugungen (Glaube) und Praktiken (Ritual), die sich auf das Heilige beziehen und Menschen in einer Gemeinschaft vereinen. Hier kommt der Gemeinschaftsaspekt ins Spiel, der für die Ausübung der meisten Religionen unabdingbar ist. Funktionalistische Ansätze sehen in der Sicherung der Gemeinschaft sogar die Hauptaufgabe von Religion.

 

Auch mit dieser Definition haben wir das Problem, dass sie auf das Heidentum nur eingeschränkt anwendbar ist. Heidentum ist ein Sammelbegriff für viele Traditionen, Strömungen und Gemeinschaften, die untereinander teilweise im Widerspruch stehen. Hinzu kommt, dass es vergleichsweise wenig Heiden in Deutschland gibt und die Gemeinschaftsbildung abseits des Internets schwierig ist. Wenn sich Gruppen der gleichen Tradition bilden, sind sie häufig auf wenige Mitglieder beschränkt. Wicca-Coven z.B. arbeiten prinzipiell mit einer Anzahl von maximal 13 Praktizierenden. Steigt die Anzahl spaltet sich ein Teil des Covens ab und bildet einen eigenen Kreis.

 

Bild Dedda71, Quelle: Wikimedia Commons
Bild Dedda71, Quelle: Wikimedia Commons

Einen Ansatz über das Individuum und dessen Gefühle bietet der Romantiker Friedrich Schleiermacher in seinem Buch “Über die Religion”. Obwohl der Text schon über 200 Jahre alt ist, beschreibt er das moderne Verständnis vieler Religiösen, wenn auch vielleicht nicht mit den gleichen Worten: “Religion ist Sinn und Geschmack fürs Unendliche. Ihr Wesen ist weder Denken noch Handeln, sondern Anschauung und Gefühl. Ihr Gegenstand ist das Verhältnis des Menschens und des Universums.”

 

Schleiermacher wendet sich von den harten, definierten Begriffen wie “Gott” oder “Kirche” ab und wählt eine Herangehensweise, die beim Individuum ansetzt. Die Autorität über die Wahrheit der Religion liegt nicht in heiligen Schriften oder bei der Kirche, sondern bei jedem Einzelnen. Das “Unendliche” kann Objekt jeder Religion sein, als Gott, Geister, Nirvana, etc., aber auch das Universum, wie es die Wissenschaftler erforschen. Das Unendliche bietet damit den Gegenpol zum Individuum in seiner klar umgrenzten, zähl- und messbaren Welt. Religion über Anschauung und Gefühl zu definieren umgeht außerdem die Problematik der Inhalte. Für die Wissenschaft ist dieser Ansatz nicht verwendbar, aber er eignet sich meiner Ansicht nach sehr gut für eine Beschreibung des Neuheidentums.

 

©kb