Priester - Zauberer - Prophet: Idealtypische Rollenbeschreibung
Bei einer näheren Befassung mit dem Neuheidentum sieht man sich schnell einem bunten Strauß von Eigenbezeichnungen gegenüber. Es finden sich beispielsweise “altägyptisch arbeitende, freifliegende Hexen mit schamanistischer Ausbildung” oder “keltischen Druiden, die gleichzeitig den dritten Wicca-Grad der Alexandrinischen Tradition” haben. In dem Wirrwarr von Namen und Rollen verliert man schnell den Überblick.
In der Wissenschaft gibt es verschiedene “religiöse Spezialisten”, die sich durch bestimmte Fähigkeiten auszeichnen. Max Weber beschreibt in seinem Werk “Wirtschaft und Gesellschaft” 1922 drei Sorten religiöser Spezialisten: den Priester, den Zauberer (oder Magier) und den Propheten. Diese drei Idealtypen können als Grundlage für die Einordnung verwendet werden.
Ein Priester ist in seinem Verständnis eine Person, die durch Mittel der Verehrung Götter beeinflusst. Dies geschieht im Kontext einer etablierten, institutionalisierten Religion mit festgelegtem Kult. Er ist quasi Angestellter dieser Religion und verfügt als Berufsqualifikation über ein spezifisches Wissen der geregelten Lehre. Die Priester bieten häufig Seelenanleitung für die nicht-priesterlichen Anhänger eines Kultes (Laien).
Zauberer hingegen sind nach Max Weber diejenigen, die mit magischen Mitteln Zwang auf “Dämonen” ausüben. Zauberer hängen keinem Kult an, der regelmäßige Rituale erfordert und quasi fortlaufend ist, sondern üben ihre Tätigkeit individuell bei Bedarf aus. Man könnte sie also als “Freiberufler” bezeichnen, die unabhängig von einer Institution oder festen Anhängerschaft agieren.
Eine Sonderform eines religiösen Spezialisten stellt laut Weber der Prophet dar. Propheten haben ein besonderes Charisma, sie können die Menschen mit ihren Worten und Taten überzeugen. Sie sind Religionsstifter oder -erneuerer. Sie handeln aufgrund einer persönlichen Berufung und sind außerhalb des bestehenden Establishments angesiedelt, d.h. sie sind nicht im institutionellen Rahmen des Priestertums verankert. Propheten dürfen auch kein Gewerbe aus ihrer Prophetie machen und unterscheiden sich somit von den Magiern, die z.B. Orakel gegen Geld anbieten.
Religiöse Spezialisten im Neuheidentum
In der religiösen Alltagswelt existieren diese Idealtypen nicht. In allen Religionen finden sich Mischformen und die Aufgabenbereiche überschneiden sich. Im Neuheidentum hat sich bis auf einige Traditionen wie z.B. Wicca noch keine Institutionalisierung durchgesetzt. Ohne festgelegte Lehre bleibt es jedem selbst überlassen, eine passende Eigenbezeichnung für sich zu finden. Um etwas Orientierung zu geben, stelle ich nun die häufigsten Rollenbezeichnungen (ebenfalls idealtypisch) vor. Um die Leserfreundlichkeit zu steigern, verzichte ich darauf, jedes Mal die männliche und weibliche Form der Rolle aufzuführen - es sind immer beide gemeint!
©kb