Krafttiere: Ihre Rolle als Helfer und Begleiter
Das Verhältnis von Tier und Mensch
Seit Beginn der Menschheitsgeschichte spielen Tiere für unser Überleben eine entscheidende Rolle. Menschen leben mit Tieren, jagen Tiere, gewinnen ihre Nahrung und lebenswichtige Güter wie Felle aus Tieren. Die Beziehung der Menschen zum Tier ist dabei immer etwas, was besondere Aufmerksamkeit erfahren hat. Die Idee, der Mensch sei die Krone der Schöpfung und stünde über den Tieren ist, geschichtlich betrachtet, relativ neu. Weltanschauungen können sehr klar festlegen, wie ein Mensch sich in Beziehung zu Tieren verhält. "Macht euch die Erde untertan und herrscht über ... alles Lebendige, was auf Erden kriecht!" (1. Mose, 1.28) Doch natürlich gibt es Unterschiede in der Beziehung von Tier und Mensch, je nachdem, welche Zeit und welchen Kulturkreis man sich anschaut. In Indien beispielsweise ist eine Kuh heilig, hier ist sie eine Nahrungsmittel. Auch können verschiedene Tiere unterschiedliche Bedeutung haben. Viele Tiere dienen uns als Nahrungsmittel und andere halten wir uns als Haustiere und kämen nie auf die Idee sie zu essen. Viele Menchen gehen von dem biblischen Bild der Tiere aus, die sie als unterlegen definieren, wohingegen schamanische Kulturen Menschen, Tiere und sogar Pflanzen als Geschwister betrachten.
Totemtiere und Helfertiere
Tiere haben in der schamanischen Tradition, die im Westen neu belebt wird, eine sehr wichtige Rolle, die es in indigenen Kulturen in der Form nicht gab.
Der moderne in westlichen Ländern praktizierte Schamanismus ist sehr stark von Harners Core Schamanismus geprägt. Da der Ethnologe Harner verbindende Elemente in den vielen Formen des Schamanismus weltweit gesehen hat, verband er diese zu einem einheitlichen Konzept. Dieses soll schamanische Techniken jedem zugänglich machen und möglichst ohne kulturellen Überbau erlernbar sein. Damit kann es einen christlichen Schamanen, einen heidnischen Schamanen oder sogar einen atheistischen Schamanen geben. Laut Harner stellt der Schamanismus ein Bündel an Techniken dar. Doch daran gibt es auch Kritik: Schamanische Techniken sind in jeder Kultur fest in die Kontexte und Weltbilder eingebunden. Ohne diese kann es schwierig sein die Techniken tiefgehend zu begreifen und effektiv anzuwenden.
Diese Entwicklung geht auf Michael Harner und sein Konzept vom "Core-Schamanismus" zurück, das den Westen maßgeblich beeinflusst hat und die Bedeutung von Helfertieren sehr betont. Bezeichnend für den westlichen Schamanismus ist die Idee, dass jeder Mensch ein eigenes Krafttier "besitzt" und mit diesem in Kontakt treten kann. Dieses Tier wird meistens unterschieden von Helfertieren und Totemtieren. Helfertiere sind Tiergeister, die einem zeitweise zur Seite stehen, um einen Menschen in bestimmten Lebensphasen oder Situationen zu unterstützen. Von diesen kann man mehrere haben, die wechseln oder ganz verschwinden, nachdem eine Phase abgeschlossen ist. Das Totemtier hingegen ist ein Tier, das sich aus der Geschichte der Familie ergibt und sozusagen ein Schutzgeist über Generationen hinweg ist. In indigenen Vorstellungen der Nordamerikaner sind mit dem Totemtier viele Regeln und Tabus verbunden. So durfte beispielsweise eine Gruppe, die unter dem Schutz des Wolfes stand, diesen nicht jagen. Diese Tiere wurden wie Familienmitglieder behandelt, da man davon ausging, dass die eigene menschliche Familie ursprünglich vom "Urgeist" des Wolfes abstammte. Diese imaginierte Abstammungslinie verband jeden Nachkommen dieser Familie mit den Wölfen. Im Westen gibt es ebenso schamanisch Tätige, die mit Totems arbeiten und diese als eine Verbindung zu den Ahnen ansehen. Diese sind anders zu begreifen als Krafttiere, da Krafttiere “nur” mit dieser einen Person zusammenarbeiten und nicht zwingend mit den Ahnen verbunden sind.
Das Krafttier
Das wohl bekannteste Element des Schamanismus im Westen ist das Krafttier. Es wird angenommen, dass jeder eines hat und es einen von Geburt an bis zum Tod begleitet. Anders als Helfertiere, die kommen und gehen, ist das Krafttier immer da, auch wenn man es nicht kennt. Es hat eine sehr persönliche Bindung zum Menschen. In psychologischen Interpretationen steht das Tier steht dabei oft für Persönlichkeitsanteile, die den Menschen, zu dem es gehört, ebenfalls charakterisieren.
In schamanischen Interpretationen ist es jedoch ein Geist, der einen völlig unabhängigen Charakter hat. Genauere Zusammenhänge, warum genau jenes Tier und wie es dem Menschen helfen kann, sind dann direkt mit dem Geist zu besprechen und nur unzulänglich durch horoskop-ähnliche generelle Interpretationen zu erfassen.
Wie findet man sein Krafttier?
Zunächst weiß ein Mensch nicht, was sein Krafttier ist, doch es gibt in der Vorstellung des Neo-Schamanismus verschiedene Möglichkeiten es herauszufinden. Zum einen kann man Menschen, denen man es zutraut, fragen, ob sie durch Hellsichtigkeit oder Hellfühlichkeit das eigene Krafttier erkennen können. Diese Methode schließt die eigene Erfahrung jedoch aus und man ist auf das Können anderer angewiesen. Eine weitere Möglichkeit ist, das Krafttier darum zu bitten, in einem Traum zu erscheinen. Dies ist allerdings auch nur geeignet, wenn man sich gut an Träume erinnern kann, was sich aber gut trainieren lässt. Da westliche Menschen es jedoch nicht gewohnt sind, die Realität der alltäglichen Wirklichkeit und die eines Traumes als gleichwertig zu betrachten, kann sich das Problem ergeben, dass man seinem eigenen Traum nicht vertraut und sich nach einer anderen Form von "Echtheit" sehnt.
Die schwierigste, aber gleichzeitig klarste Lösung ist, das Krafttier in einer schamanischen Reise zu besuchen. Dafür gibt es eine Vielzahl unterschiedlicher Anleitungen und Methoden, die von intuitiven Reisen bis hin zu genauen Vorschriften und Regeln beim Reisen reichen. Falls man selbst nicht schamanisch reisen kann oder möchte, kann man auch jemanden bitten, das für einen zu tun. Viele Schamanen erachten das Reisen in die Anderswelt als eindeutigste Variante um sein Krafttier kennenzulernen. Diese sollte mit dem Willen gestartet werden, sein Krafttier dort als erstes zu treffen. Befindet man sich in Trance und in der anderen Wirklichkeit kann man die Wesenheiten, die man trifft, fragen, ob sie das Krafttier oder ein hilfreicher Geist sind. Sehr schwammige und unzureichende Methoden hingegen sind zum Beispiel das Ziehen einer Krafttierkarte oder auch die Annahme, das Lieblingstier sei das Krafttier. Hierbei ist auch oft Wunschdenken ein Problem, da ein “cooles” Krafttier wie ein Wolf oder ein Bär das Ego ein wenig mehr streichelt als eine Spinne oder ein Schwein.
Menschen, die schamanisch reisen und arbeiten halten es mehrheitlich für absolut notwendig, sein Krafttier zu kennen, ehe man erste Schritte in der nichtalltäglichen Wirklichkeit (NAW) unternimmt. Dieser Warnung liegt die Annahme zugrunde, dass die nichtalltägliche Wirklichkeit keine Fantasie ist, sondern eine reale Welt, die neben unserer existiert. Dementsprechen gibt es dort auch, unabhängig von unserer Vorstellung, echte Wesenheiten, die diese Welt bevölkern und einem Reisenden nicht immer positiv gegenüber eingestellt sind. Aus diesem Grund sollte man in der NAW auch nicht seine Manieren vergessen und sich gegenüber den Wesen, denen man begegnet, höflich verhalten. Das Krafttier spielt in einem ersten Schritt sozusagen einen Reiseführer. Außerdem ist es ein spiritueller Lehrer und entwickelt sich nach intensivem Kontakt auch zu einem Freund.
Wozu braucht man ein Krafttier?
Die erste Frage, die man sich stellen sollte, wenn man sein Krafttier kennenlernen will, ist: Wozu? Das Krafttier wird in den meisten Fällen als ein Helfergeist verstanden, der einem beisteht, wenn man in der Anderswelt unterwegs ist. Er erklärt einem die Welt um einen herum und hilft, sich zurechtzufinden. Ebenso kann er ein Lehrer sein, ein Geist, der einem weiterhilft, sobald man persönliche Fragestellungen bearbeiten möchte. Wenn man als Heiler arbeitet ist das Krafttier ein Verbündeter zur Bewältigung von Schwierigkeiten in der Anderswelt, wenn man auf Krankheitsgeister trifft. Das wichtigste im Neo-Schamanismus ist, das Krafttier als Verbündeten zu betrachten, zu dem man eine Beziehugn hat. Und um Beziehungen muss man sich in der Anderswelt ebenso kümmern wie in der realen Welt. Das Krafttier (oder auch jeder andere Helfergeist) ist nicht vergleichbar mit einem Sternzeichen. Es hat keine Attribute, die allgemeingültig für alle gelten, die dieses oder jenes Krafttier haben und es ist auch nicht zielführend, sich von jemandem sagen zu lassen, was das Krafttier ist, wenn man nie vor hat, es selbst in der Anderswelt zu besuchen. Das Krafttier ist eine unabhängige Entität und kann, bei Vernachlässigung, seinen Partner verlassen. Es ist nichts, was man “besitzt”.
Es gibt eine Vielzahlt von Tabellen und Zuordnungen, die die beliebtesten Krafttiere erklären und die Bedeutung für den Menschen darlegen. Neo-Schamanen halten es jedoch oft für sinnvoller, das Krafttier selbst zu fragen, was es einem beibringen kann und die Bedeutung, die es für einen hat, selbst zu ergründen.
©ls