Die Religion der Germanen durch die Zeit
Welche Germanen?
Als Germanen werden die Völker bezeichnet, die die germanische Sprache gemeinsam hatten. Man sollte aber nicht dem Irrtum unterliegen, dass es die eine germanische Kultur gab, sondern viele verschiedene Völker und Ent-wicklungen. Die ersten Aufzeich-nungen über sie entstanden ca. 100 vor der Zeitenwende. Die germa-nischen Völker siedelten zwischen Skandinavien und den Alpen und von den heutigen Niederlanden bis Polen. In der Regel beziehen sich Neuheiden auf “die Germanen” des Zeitraums vor der Christianisierung. Die skandinavischen Völker gehörten zu den letzten in Europa, die das Christentum angenommen haben. Diese groben Angaben zeigen schon, wie breit sich der Begriff “Germanen” fächert - räumlich sowie zeitlich.
Eine besondere Bedeutung kommt den Wikingern zu (ca. 800 - 1050 unserer Zeitrechnung), die nicht nur vielen Neuheiden heute als Inbegriff des Germanen gelten. Die Abenteuer der Seefahrer werden stark romantisiert in vielen modernen Medien aufgegriffen, beispielsweise “Wicki und die wilden Männer”, oder die vom Auftreten und Aussehen an Wikinger erinnernden, sympathischen Dorfbewohner in “Drachen zähmen leicht gemacht”. Im frühen Mittelalter hingegen machten die seefahrenden Wikinger nur einen kleinen Teil der skandinavischen Bevölkerung aus und waren als Räuber in allen Küstenregionen gefürchtet.
Dank altenglischer und nordischer Überlieferungen ist ziemlich viel über die Mythologie und die Kosmologie der Germanen bekannt. Es gibt auch einige Darstellungen auf Runensteinen und Kunstgegenständen. Religiöse Rituale selbst werden aber kaum beschrieben. Diesbezügliche Schilderungen findet man am ehesten in den Sagas. Hieraus stammen zum Beispiel Schilderungen eines germanischen Orakels (Seiðr) (z.B. Eiríks saga rauða, Sage von Erik dem Roten), oder die magische Verwendung von Runen (z.B. Egils saga). Rituale wurden laut den Berichten von Tacitus im Wald abgehalten, es gab kaum Tempel. Einige Rückschlüsse über rituelle Praxis können aus Opfergaben, die in Mooren versenkt wurden, gezogen werden. Dabei handelt es sich sowohl um Gegenstände als auch um Menschenopfer.
Ausführliche Informationen zu diesem Thema finden sich in Kveldúlf Gundarssons Ásatrú. Die Rückkehr der Götter.
Die NS-Zeit
Leider hat auch die NS-Zeit viel zur Bestimmung des Germanen-Begriffs beigetragen. Vor allem unter der Führung Heinrich Himmlers wurden Elemente germanischer Kultur ideologisch entfremdet und eingesetzt. Er sah im “germanischen, arischen” Blut die Voraussetzung für wahre Stärke. Im Zuge seiner Ahnenforschung nahm er Ausgrabungen vor, deren Ergebnisse er zu seinen Gunsten schuf oder verfälschte. So gerieten beispielsweise die Externsteine zum germanischen Ur-Heiligtum - eine These, die schon längere Zeit vorherrschte, aber in der Zeit des Nationalsozialismus “bestätigt” wurde. Heute wissen wir, dass eine menschliche Nutzung der Steine sich erst für das Mittelalter nachweisen lässt und somit christlichen Ursprungs ist.
Ähnliches gilt auch für die Runen. Eine Reihe von Runen wurden als Symbole des Nationalsozialismus genutzt und sind bis heute verboten. Dazu gehören beispielsweise die Othala-Rune (Symbol der Hitler-Jugend), die Suwelu bzw. Sieg-Rune (einzeln ebenfalls Symbol der Hitler-Jugend, doppelt Zeichen der SS). Durch die Verwendung der Runen wurde eine Beziehung zur Vergangenheit hergestellt. Mehr zu den Runen und ihrer Bedeutung gibt es hier.
Die Vereinnahmung germanischer Mythologie und Religion durch Rechtsextreme hält bis heute an. Wie zur Zeit des Nationalsozialismus wird die Kultur der Germanen als Beweis einer vermeintlichen Überlegenheit der “germanischen Rasse” gedeutet. Mehr dazu findet sich auf der Seite der Bundeszentrale für politische Bildung. Elemente germanischen Heidentums wie beispielsweise Sonnwendfeiern werden als Deckmantel rechtsextremer Versammlungen genutzt. Neonazis schreiben in heidnischen Foren gezielt Leute mit Interesse an den Germanen an und laden sie zu Vereinen oder Treffen ein, die angeblich der Pflege germanischen/deutschen Brauchtums dienen. Auf den ersten Blick ist die Verbindung zur rechten Szene nicht immer offensichtlich.
Germanisches Heidentum heute
Durch den bis heute anhaltenden Missbrauch des germanischen Heidentums in der NS-Zeit ist es in Deutschland schwierig, sich mit dem Thema zu beschäftigen. Im Internet werden Informationen häufig ohne Quellenangaben geteilt, sodass es für den Leser beinahe unmöglich zu beurteilen ist, ob es sich um ideologie-freie Interpretationen handelt oder nicht. Hinzu kommt, dass rechtsextreme Seiten durchaus die Erkenntnisse der modernen Wissenschaft oder von klar anti-rassistischen Seiten kopieren und in ihren eigenen Kontext stellen.
Selbst bei Büchern ist die Quellenlage nicht immer klar. Der Autor Otto Hantl interpretierte beispielsweise die Externsteine als Heiligtum der Urmenschen, die ihm zufolge menschliche Entartung und “rassische Vermanschung” (Originalzitat) nicht zuließen und entsprechende Kinder wurden geopfert, indem sie von den Externsteinen geworfen wurden. Klappentext und Buchtitel (Urglaube und Externsteine, erschienen 1988) lassen auf eine mehr oder weniger wissenschaftliche Erläuterung der Geschichte der Externsteine schließen und erst bei der Lektüre des Buches offenbart sich der ideologische Hintergrund des Autors.
Natürlich gibt es auch viele Neuheiden, die die ideologische Besetzung der Germanen und rassistische Tendenzen klar ablehnen. Dazu gehören beispielsweise der Eldaring oder der Verein für germanisches Heidentum. Auch in anderen Ländern sind viele Organisationen rechts ausgerichtet. Eine Bewertung muss immer im Einzelfall vorgenommen werden. Möchte man einer neugermanischen Gemeinschaft beitreten, sollte man sich vorher ausführlich über diese und ihre Mitglieder informieren.
Universalismus vs. Abstammung
Ein wichtiges Thema, das germanische Religionsgemeinschaften weltweit bewegt ist die Frage der Herkunft der Anhänger. Prinzipiell gibt es zwei Ausrichtungen: geschlossen und universalistisch. Geschlossene Gruppen sind der Ansicht, dass nur Menschen mit nordischer Abstammung die germanischen Götter verehren sollten. Dem liegt die Auffassung zugrunde, das jedes Volk seine eigenen Götter und Wege der Verehrung hat, was an sich keine Wertung über besser oder schlechter beinhaltet. Somit sind geschlossene Gruppen tendenziell konservativ, aber nicht automatisch der rechtsextremen Szene zuzuordnen.
Faktisch haben aber vor allem in Amerika die meisten Leute viele ethnische und kulturelle Hintergründe. Auch in Deutschland ist nicht nachvollziehbar, ob die Ahnen nun jeweils keltisch, germanisch, slawisch oder einer anderen Volksgruppe zugehörig sind. Universalistisch ausgerichtete Gruppen vertreten daher die Ansicht, dass jeder die germanischen Götter verehren kann, wenn er sich dazu berufen fühlt. Es gibt auch einen Ansatz der besagt, dass die Götter selbst ihre Anhänger auserwählen und den Menschen ein Urteil darüber, wer “darf” und wer nicht, nicht angemessen ist.
©kb