Die Götterwelt
Allgemein gibt es im Neuheidentum eine Vielzahl unterschiedlicher Weltanschauungen mit und ohne Götter (einen Überblick gibt es hier). In manchen Strömungen wie beispielsweise Wicca kann das Gottesbild von psychologischen Archetypen bis hin zu einer Vielzahl von Göttern und Göttinnen aus unterschiedlichen Pantheons variieren. Im germanischen Neuheidentum ist die Vorstellung präziser gefasst: die germanischen Götter sind reale, eigenständige Wesenheiten mit einem klaren Charakter. Dieser ist einerseits in den Quellen überliefert, andererseits haben die Anhänger auch die Möglichkeit, persönlich Kontakt zu den Göttern aufzunehmen und sie so kennenzulernen.
Im Selbstverständnis der Asatru wie es Fritz Steinbock in seinem Buch Das Heilige Fest beschreibt, ist das Heidentum kein Glaube an Götter, sondern eine Verwandtschaftsbeziehung zu ihnen. Diese Verbindung beruht auf gegenseitigen Geschenken, die seitens der Menschen in Ritualen dargebracht werden. Zu der Existenz anderer Götter gibt es keine allgemeingültige Auffassung. Polytheistische Glaubensgemeinschaft erkennen aber in der Regel andere Götterpantheone an.
Die Götter der Germanen teilen sich in zwei Rassen auf: die Asen und die Wanen. Die Wanen sind das ältere Göttergeschlecht. Ihr Name bedeutet “die Glänzenden”. Sie sind eng mit den Belangen des alltäglichen Lebens und der Landwirtschaft verbunden. Die Asen werden eher mit Krieg und Wissenschaften assoziiert. Eine klare Trennung zwischen den beiden Geschlechtern findet in den nordischen Überlieferungen nicht statt und die Bezeichnung Asen umfasst in der Regel den gesamten Götterpantheon.
Es wird aber von einem Krieg zwischen den Asen und den Wanen berichtet, ausgelöst durch die Wanin Gullveig, die in den Asen die Gier nach Gold erweckte. Um den Frieden zu sichern wurden Geiseln ausgetauscht. So kamen der Meeresgott Njörðr und seine Kinder Freyr und Freya zu den Asen. Hönir und der Riese Mirmir gingen zu den Wanen.
Stammbaum der Asen und Wanen
Götter und Göttinnen
Wie der Stammbaum der Asen zeigt gibt es eine Vielzahl von Göttern und Göttinnen. Viele sind aber nur mit Namen oder im Rahmen von Genealogien überliefert. Hier werde ich kurz auf einige der wichtigsten Figuren der germanischen Überlieferung eingehen.
Odin
Odin ist neben Thor wohl einer der bekanntesten Götter des germanischen Pantheon. Er führt als Göttervater oder Allvater die anderen Götter an. Früher hatte der Himmelsgott Tyr diese Position inne, wurde aber von dem kriegerischen Odin verdrängt. Er ist ein Gott des Krieges, gewährt aber auch Wünsche und Rat. Gemeinsam mit seinen Brüdern Vili und Vé erschuf er die ersten Menschen.
Der Göttervater wird als alter, einäugiger Mann mit langem Bart und blau-schwarzem oder grauem Mantel und breitkrempigen Hut dargestellt. Blauschwarz galt den alten Germanen als Farbe des Todes. Hier zeigt sich wieder die Verknüpfung von Odin mit Tod und Krieg. Er opferte sein Auge, um den Trunk der Weisheit aus dem Brunnen Mimir zu erlangen. Er raubte der Riesin Gunnlöd den Dichtermet Óðrœrir und gilt daher auch als Gott der Dichtkunst, aber auch der Trunkenheit und Raserei.
Odin opferte sich selbst am Weltenbaum Yggdrasil und hing dort neun Tage und Nächte kopfüber, von seinem eigenen Speer verwundet. Dabei ersann er die Runen. Damit wurde er auch zum Gott der Zauberkunst und Kommunikation. Die Rune Ansuz ist eng mit Odin verbunden. Mehr zu den Runen findet ihr hier.
Der Gott wird von den zwei Wölfen Ceri und Freki und den zwei Raben Huginn und Muninn begleitet, die ihm jeden Tag Neuigkeiten aus der Welt bringen. Außerdem besitzt er das achtbeinige Pferd Sleipnir. Er hat einen magischen Ring namens Draupnir, von dem in jeder neunten Nacht acht weitere Ringe abtropfen. Mit seinem Speer Gugnir begann Odin den ersten Krieg der Welt, den Wanenkrieg. Er hat zwei Paläste in Asgard: Hliðskjálf und Gladsheim mit Walhall, in dem sich die Götter versammeln und wo auch die Einherjer eingehen.
Frigg
Die Göttin Frigg ist mit Odin verheiratet und hat ebenfalls eine herausragende Stellung im Götterhimmel und ist die Schutzherrin der Ehe und Mutterschaft. Sie kümmert sich um alles, was mit dem Haushalt zu tun hat. In der Zeit der alten Germanen waren zum Beispiel das Herdfeuer und das Spinnen ihr Bereich, heute kann man sie eher mit allgemein wirtschaftlichen Themen in Verbindung bringen.
Snorri nennt eine Reihe von Dienerinnen von Frigg. Diese können in moderner Interpretation auch als Aspekte der Göttin selbst angesehen werden. Dazu zählt Sága, die Göttin des Geschichtenerzählens. Von ihr ist nur bekannt, dass sie in der Höhle Sökkvabekk wohnt, eine Ort der fließenden Wasser, und dort mit Odin zusammensitzt und Geschichten erzählt. Da auch Frigg in einem Heim wohnt, dessen Name übersetzt Sumpfsääle bedeutet, könnte es sein, dass beide Göttinnen identisch sind.
Weitere Aspekte von Frigg sind Eir, die Göttin der Heilkunst, Gefjon, Schützerin der jungen Mädchen und Fulla, Göttin des Wohlstands. Im zweiten Merseburger Zauberspruch wird die Göttin Volla als Schwester der Frigg genannt, die gemeinsam versuchen, das verletzte Pferd des Phol (Balder) zu heilen. Volla und Fulla könnten ebenfalls die gleiche Göttin bezeichnen.
Weitere Dimensionen der Göttin befassen sich mit Liebe und Schutz: Sjófn ist eine Liebesgöttin, Lofn hilft in aussichtslosen Situationen weiter, wenn zum Beispiel ein Paar die Erlaubnis für die Ehe benötigt. Vár wacht über Eise und Syn schützt speziell unsere persönlichen Grenzen, während Hlín allgemein als Schützerin gilt. Die Göttin Vör symbolisiert die weibliche Intuition. Snotra ist die kluge Göttin der Sittsamkeit und des Anstands. Die Dienerin Gná ist die Botin Friggs und steht für alles durchdringende Macht und Kommunikation.
Thor
Thor ist einer der bekanntesten und beliebtesten Götter der nordischen Mythologie. Er ist der Sohn von Odin und der Riesin Jörd. Er ist sehr stark und der Beschützer der Menschen. Mit seiner Geradlinigkeit wirkt er manchmal eher von einfachem Gemüt und wird deswegen in vielen Sagen von dem listigen Loki begleitet. Thor ist der Donnergott und gleichzeitig ein Gott der Fruchtbarkeit und Fülle.
Thor ist sehr groß, rothaarig und fährt einen von zwei Ziegenböcken gezogenen Wagen. Er ist mit der Göttin Sif verheiratet und hat mit ihr die Tochter Trud. Mit der Riesin Jarnsaxa hat er zwei Söhne, Magni und Modi. Von der Riesin Grid erhält Thor den Kraftgürtel Megingjard, eiserne Handschuhe und einen Zauberstab. Seine Waffe ist der Hammer Mjölnir. Dieser trifft immer sein Ziel und kehrt zu ihm zurück. Nur Thor ist in der Lage, diesen Hammer zu führen. Mit einem Hammer werden auch heute Weihungen und Segnungen durchgeführt. Bei einer Hochzeit wird der Hammer zum Zeichen des Segens in den Schoß der Braut gelegt.
Loki
Loki spielt in der nordischen Mythologie eine ambivalente Rolle. Einerseits bringt er den Göttern immer wieder Probleme und verschuldet beispielsweise den Tod von Baldur, andererseits löst er mit seiner Scharfsinnigkeit viele Situationen zu Gunsten der Götter. Es verkörpert den Trickster. Er gehört zu den Jöten, ist aber auch Odins Blutsbruder und hat deswegen seinen Sitz im Rat der Götter.
Loki ist mit der Göttin Sigyn verheiratet und hat mit ihr zwei Söhne. Mit der Riesin Angrboda zeugte er die Todesgöttin Hel, den Fenriswolf und die Midgard-schlange. Er kann seine Gestalt verändern und sich zum Beispiel in einen Lachs oder eine Fliege verwandeln. Loki taucht in vielen Geschichten der Edda auf. Das Verhältnis zwischen ihm und den anderen Göttern ist meist angespannt, aber weil er die Probleme, die er verursacht, in der Regel auch lösen kann, vergeben ihm die anderen meist. Nachdem er aber den Tod von dem allseits beliebten Baldur verursacht hat, beschließen die Götter, ihn endgültig zu bestrafen und fesseln ihn an einen Felsen. Über seinem Kopf wird eine Natter befestigt, deren Gift auf ihn heruntertropft. Seine Frau Sigyn fängt es mit einer Schale auf, doch wenn sie diese leeren muss, leidet Loki furchtbare Schmerzen. Zu Ragnarök befreit er sich aus seinen Fesseln und kämpft gegen die Götter.
Freyr
Freyr ist ein Gott der Fruchtbarkeit und des Friedens und gilt als Stammvater bzw. Hauptgott der Ynglinge (Königsgeschlecht in Schweden). Obwohl er ein Friedensstifter ist, wandten sich auch Krieger in der Schlacht an ihn, damit er sie beschützt. Freyr gehört zu den Wanen und lebte nach dem Krieg zwischen Asen und Wanen gemeinsam mit seinem Vater Njörðr und seiner Schwester Freya als Unterpfand für den Frieden bei den Asen. Der Name Freyr bedeutet “Herr”.
Freyr ist mit der Riesin Gerd verheiratet. Sein Tier ist ein Eber als Symbol der Fruchtbarkeit, aber auch des Kampfes. Nachdem Freyr sein Pferd seinem Diener überlassen hatte, damit dieser für ihn um seine spätere Gemahlin warb, wurde er nur noch von dem Eber Gullinborsti begleitet, der auch seinen Wagen zog. Der Eber ist in der germanischen Verehrung ein heiliges Tier und wurde früher als besonderes Opfer dargebracht. Als Belohnung für die erfolgreiche Brautwerbung übergab Freyr seinem Diener auch sein Schwert. Deswegen kämpft er bei Ragnarök stattdessen mit einem Hirschgeweih. Der Gott besitzt auch ein Zauberschiff namens Skíðblaðnir, das man zusammenfalten und in einer Tasche transportieren kann.
Freya
Freya ist neben Frigg die bekannteste Göttin des nordischen Pantheons. Sie ist eine Göttin der Liebe und Zauberei. Ursprünglich war sie die geliebte ihres Bruders Freyr, später ist sie mit Oðr verheiratet, hatte aber viele Liebhaber sowohl unter den Göttern als auch den anderen Wesen der nordischen Mythologie. Sie gehört zu den Wanen und lebte nach dem Krieg zwischen Asen und Wanen gemeinsam mit ihrem Vater und Bruder bei den Asen. Sie brachte Odin seiðr bei.
Freyr besitzt eine Halskette namens Brísingamen. Diese Kette verstärkte ihre magischen Fähigkeiten. Sie wurde von vier Zwergen geschaffen, mit denen sie zur Belohnung geschlafen haben soll. Sie reitet auf dem Eber Hildisvín (Kampfschwein). Sie hat wie Frigg ein Falkengewand, mit dem sie fliegen kann. Ihr Wagen wird von Katzen gezogen. Diese Tiere stehen daher auch in enger Verbindung mit der Göttin. Als Anführerin der Walküren darf Freya die Hälfte der gefallenen Krieger in der Schlacht für sich beanspruchen, die andere Hälfte geht an Odin.
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